Die Seele des Schriftstellers

foto einer schreibmaschine

Sascha Dinse während einer Lesung. Foto: Jörg Merlin Noack FotografikDass ich von anderen Menschen je nach deren kulturellem Horizont unter Umständen als leicht merkwürdige Person gesehen werde, kann ich kaum bestreiten. Zumeist nehmen mich andere als etwas extravagant gekleidet wahr (was durchaus nachvollziehbar ist … wobei die allermeisten von denen mich noch nie wirklich extravagant gekleidet gesehen haben ^^), ihnen fallen ungewöhnliche (?) Accessoires wie lackierte Fingernägel und dergleichen auf – ich bin halt Goth, was soll ich machen? Erzählt man denen dann, dass man beruflich als Dozent unterwegs ist und parallel düstere Horrorgeschichten schreibt, erlebe ich es häufig, dass Menschen beides nicht so recht überein bringen können. Als wäre es eine seltsame Kombination, auf der einen Seite Menschen etwas über moderne Kommunikation, Soziale Netzwerke, Datenschutz und dergleichen zu vermitteln, und auf der anderen Seite Horror zu schreiben – in meinen Augen sind diese Bereiche sehr eng verwandt.

Bin ich also eine Kombination, die nicht zusammenpasst? Oder … aber dazu kommen wir gleich.

Die Frage nach dem Sinn

Beruflich (und ich trenne das hier bewusst vom schriftstellerischen Schaffen) erhalte ich natürlich Rückmeldungen zu dem, was ich tue. Diese sind in den allermeisten Fällen außerordentlich positiv, in manchen Kursen werde ich manchmal derart mit Lob überhäuft, dass es mir tatsächlich extrem unangenehm ist. Ich empfinde keine persönliche Genugtuung, wenn mir jemand sagt, dass meine Art Dinge zu erklären ganz, ganz toll ist. Natürlich ist es wirtschaftlich sinnvoll, gute Bewertungen zu erhalten, doch emotional bedeutet es mir nichts. Was wiederum nicht heißen soll, dass mir die Teilnehmer*innen an meinen Lehrveranstaltungen egal wären – ihr wisst, was ich meine. Wer übrigens bis hier immer noch nicht kapiert hat, von welchen Lehrveranstaltungen ich rede, klickt einfach hier. Das, was ich beruflich tue (also Dozent sein), bringt im Augenblick das Geld ins Haus, bzw. in meine 2-Zimmer-Wohnung in Berlin-Friedrichshain. Für mein seelisches Wohlbefinden hat es indes keine Bedeutung. Ich kenne Menschen in meinem Freundeskreis, bei denen das völlig anders ist. Sie definieren ihren Erfolg über die berufliche Karriere und beziehen daraus ihr Selbstwertgefühl und die Bestätigung, dass sie etwas Richtiges tun.

Stimmte also mit mir etwas nicht, wenn ich das völlig anders empfand? Eine Zeit lang dachte ich das wirklich. Irgendwas musste doch mit mir nicht in Ordnung sein, wenn viele andere um mich herum bei jedem positiven beruflichen Feedback freudestrahlend in der Gegend herumtanzten, während es mir unangenehm war, für eine Büro- oder sonstwas-Tätigkeit gelobt zu werden, nur weil ich meine Erbsen etwas besser als andere gegessen hatte (Woyzeck-Anspielung verstanden, hoffe ich).

Und dann, nach einigen Jahren als Agentursklave Angestellter war mir klar, wo mein Problem lag: Ich tat all das nicht für mich, sondern für andere. Die Kunden bedeuteten mir persönlich nichts, die geleistete Arbeit war eben Arbeit, nichts anderes. Als ich diese Erkenntnis gewonnen hatte, war klar, was ich tun musste: selbständig werden. Also Agenturjob hingeworfen, freiberuflicher Dozent geworden. Parallel dazu begann ich zu schreiben …

… nur um jetzt festzustellen, dass das Arbeiten als Dozent zwar wesentlich selbstbestimmter ist, als meine vorherigen Tätigkeiten, doch emotional ebenso wenig Einfluss auf meinen Stimmungshaushalt hat. Was zur Hölle ist also los mit mir?

Puh! Ich bin also nicht verrückt.

Und dann verstand ich. Mit mir war (und ist) alles in Ordnung (soweit ich das natürlich einschätzen kann). Ich hatte schlicht an den falschen Stellen nach Bestätigung und Futter für das eigene Ego gesucht.

Künstler, und ich bezeichne mich hier voller Arroganz als einen solchen, tun etwas, was die meisten anderen Menschen nur selten oder gar nicht machen – sie lassen andere Menschen an dem teilhaben, was tief in der eigenen Seele vor sich geht. Jede Geschichte, jeder Roman, jedes Gedicht und natürlich jegliche andere Kunstform, ist nicht anderes als pure Emotion, ungefiltertes seelisches Innenleben – und damit etwas völlig anderes als seelenlose Fließbandarbeit, so gut auch immer sie sein möge. (Zumindest, solange es keine rein kommerzielle Gebrauchskunst ist, davon gibts ja auch genug …)

Nachdem ich begonnen hatte, meine Geschichten bei Wettbewerben einzureichen, sie Freunden zum Lesen zu geben, einige in Anthologien erschienen sind und ich seit einer Weile auch Lesungen veranstalte, habe ich festgestellt, dass mir eine positive Rückmeldung zu meinem kreativen Schaffen tatsächlich etwas bedeutet. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein gewaltiger Sprung für mich! Ich habe endlich etwas gefunden, was mir hilft, mich besser zu fühlen. Wenn ein Freund mir heute erzählt, dass eine meiner Geschichten im wirklich extrem gut gefallen hat, obwohl die Lesung dazu bereits ein paar Wochen zurückliegt, dann bedeutet mir das viel. Sehr viel. Viel mehr, als mir jeder berufliche Aufstieg in einem meiner alten Jobs jemals etwas hätte bedeuten können.

Ich will Schriftsteller sein! Nicht nur, weil ich damit vielleicht irgendwann Geld verdienen kann, sondern weil es mir etwas bedeutet. Weil ich es wundervoll finde, wenn meine innersten Gedanken und Gefühle (besagte Geschichte, die besagter Freund großartig fand, war nämlich „Susan“, die in der Tat sehr persönlich und emotional ist) auch in anderen bestimmte Saiten zum Klingen bringen. Aus diesem Grund werde ich in 2016 viele weitere Lesungen halten, aus diesem Grund bin ich gerade mit ein paar anderen Autoren dabei, eine Gruppe zu gründen, mit der wir die Berliner Kulturszene etwas aufmischen werden, aus diesem Grunde werdet ihr in diesem Jahr noch eine Menge von mir lesen.

2016 wird für mich das Jahr, in dem ich große Schritte auf eine rein schriftstellerische Tätigkeit zu mache. Weniger Dozentenkram, mehr Schreiben. Weniger Vorlesungen, mehr Lesungen. Weniger nur-wegen-des-Geldes-arbeiten, mehr für-die-Seele-arbeiten. Und damit eines Tages genug verdienen, um über die Runden zu kommen – das ist der Plan.

Ich bin zu vor- und umsichtig, um einfach alle Brücken abzubrechen und mich direkt in die eisigen Fluten des Literaturmarktes (sprich: „Haifischbecken“) zu stürzen. Es ist eher ein Langsam-ins-Wasser-gehen, kein tollkühner Kopfsprung. Doch je weiter ich mich vom Ufer entferne, desto weniger will ich dorthin zurück.


Eine Antwort zu “Die Seele des Schriftstellers”

  1. Schön zu lesen, dass du deine Berufung gefunden hast! Ich bin zwar kein Orakel, aber ich denke, du wirst als Schriftsteller sehr erfolgreich werden. Lass dich nur nicht verbiegen.
    (Und wenn ich deine Zeilen so lese, bedauere ich fast, aus Berlin weggegangen zu sein.)
    Liebe Grüße

    Marianne

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